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Männliche Gewalt und weibliches Bewusstsein


Während der letzten Tage hatte ich mehrere Aha-Erlebnisse in Bezug auf die Unterscheide zwischen Mann und Frau: Zuerst sah ich zwei verschiedene Spielfilme, in denen es um die brutale Vergewaltigung einer Frau ging (‚Angeklagt’ mit Jodie Forster und ‚Lautlose Tropfen’ mit Stefanie Stappenbeck). Normalerweise vermeide ich es, Gewaltszenen anzusehen. In diesen beiden Fällen geht es allerdings in beeindruckender Weise um die Darstellung der Folgen einer solchen Gewalttat für das weitere Leben der betroffenen Frauen.

Dann verfolgte ich wie Millionen anderer den brutalen Amoklauf eines hirnverbrannten (oder auch hirnlosen) Australiers in Christchurch, Neuseeland bzw. die bemerkenswerte Reaktion der dort amtierenden Ministerpräsidentin Jacinda Ardern. Sie solidarisierte sich mit den muslimischen Opfern und setzte binnen Tagen eine Verschärfung der Waffengesetze durch, ohne dabei in pathetische oder gar scheinheilige Klagerufe zu verfallen (wie es oft geschieht nach solchen Gewalttaten). Auch diese sehr authentisch wirkende und  konsequente Haltung einer Frau in verantwortlicher Position beeindruckte mich sehr.

In beiden Fällen steht etwas als Auslöser im Zentrum des Geschehens: Männliche Gewalt.

Angesichts dieses Zusammentreffens verschiedener Aspekte des gleichen Themas wurde mir wieder einmal mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt, dass Männer auf dieser Welt überzufällig oft eine gewalttätige Rolle einnehmen (‚spielen’ wäre an dieser Stelle sicherlich der falsche Ausdruck), als Frauen es tun. Man könnte bei näherem Betrachten der aktuellen Situation - wie beim Blick auf die Menschheitsgeschichte - zu dem Schluss kommen, dass das eigentliche Problem der Mann an sich sei. Wo man auch hinsieht, überall laufen aufgeblasene Egos mit krampfhaften Machoallüren, egal ob in West, Ost, Süd oder Nord durch die gesellschaftliche und vor allem politische Landschaft. Gleich, wie sie heißen, die Trumps und Putins dieser Welt - sie machen diese Welt garantiert nicht zu einer besseren Welt. Normalerweise neige ich dazu, unhaltbaren Zuständen mit einem gewissen Humor zu begegnen. Sätze wie „Niemand ist umsonst da, er kann immer noch als abschreckendes Bespiel benutzt werden“ sind in manchen Fällen eine Art Ventil, um der eigenen Ohnmacht und Fassungslosigkeit die Schwere zu nehmen. In letzte Zeit gelingt mir diese humorvolle Betrachtungsweise immer weniger. Die abschreckenden Beispiele sind einfach derzeit zu zahlreich und derart abschreckend, die mir meistens das Lachen im Halse stecken bleibt.

 

Wie kommt es zu diesem Phänomen? Warum ist die Zahl der kriegstreibenden, gewaltverherrlichenden und machtbesessenen Menschen dieser Welt in derart überproportionaler Weise männlichen Geschlechts? Die Fakten sprechen dabei für sich, weibliche Cäsaren, Hitlers und Stalins wird man in der Menschheitsgeschichte immer nur als Ausnahme von der Regel finden. Und ja, auch Frauen sind zu Gewalttaten fähig. Wenn mein Vater mir von seinen Kriegserlebnissen an der russischen Front erzählte und dabei die grausame Brutalität weiblicher Partisaninnen schilderte, schauderte es mich bei der bloßern Erzählung. Und dennoch: In jedem Menschen werden scheinbar in Lebenslagen, die vor allem von extremer Not und Unterdrückung gekennzeichnet sind, Kräfte freigesetzt, die an das Tier im Menschen erinnern.

Das Problem speziell mit der männlichen Gewalt ist für mich als Mann dagegen, dass sie scheinbar aus sich selbst generiert wird, ohne wirklich erkennbare Not. Auf der politischen Ebene tun sich die so genannten Alpha-Männchen in erster Linie dadurch hervor,  dass sie anderen ihre eigene Stärke demonstrieren wollen. Das muss noch nicht direkt zur Gewalt führen, bietet aber immer wieder jede Menge fruchtbaren (furchtbaren?) Boden dafür.

Was sich dagegen im privaten Bereich ereignet – und dabei speziell im Bereich der Sexualität –  ist auch für mich als Mann noch viel weniger nachvollziehbar, geschweige denn vorstellbar. Wie weit entfernt von den natürlichen Grundlagen des Lebens muss Mann eigentlich sein, damit er zu solch unvorstellbarer Grausamkeit fähig ist? Missbrauch, Vergewaltigung, körperliche Gewalt bis zum Mord sind heute derart an der Tagesordnung, dass es einem im wahrsten Sinne graust und eigentlich speiübel werden müsste. In Deutschland wird statistisch gesehen in jeder Stunde ein Mensch – meist eine Frau – sexuell genötigt oder missbraucht, in den USA ist dies angeblich alle 6 Minuten der Fall! Selbst da, wo man normalerweise annehmen könnte bzw. müsste, dass eine Schutzzone existiert für all diese weltlichen Grausamkeiten, in der Kirche, wird es sogar noch auf die Spitze getrieben: Die katholische Kirche wird derzeit von einem der größten Missbrauchskandale der Geschichte erschüttert, der darin besteht, dass Kinder missbraucht werden! Die schwächsten und damit schützenwertesten Menschen, sprich Kinder, in der Gewalt von so genannten ‚Gottesdienern’! Wie weit kann man eigentlich noch sinken auf diesem Planeten?

Da wird der Satz von Paulo Coelho „Die Kindheit ist die Zeit, in der die Unschuld das Herz für das Beste offen hält, was das Leben zu bieten hat“ derart pervertiert und ins Gegenteil verkehrt, dass es einem schon wieder speiübel werden könnte und müsste.

Und wieder sind wir beim Thema: Alles Männer.

Natürlich gibt es auch unter dieser Spezies positiv besetzte Gegenbeispiele: Der Dalai Lama, das für mich einzigartige Exemplar eines scheinbar nur positiv denkenden und handelnden Menschen bzw. Mannes. Albert Schweitzer, der gute Mensch von Lambarene. Vielleicht sogar Papst Franziskus, im Rahmen seiner Möglichkeiten?

Es gibt sicherlich eine ganze Menge an nicht gewalttätigen Männern, die sich engagiert und sehr bewusst positiv einbringen in Familie, Beruf und Gesellschaft. Das Interessante an dieser Stelle ist für mich dabei, was diese Männer von anderen, zur Gewalttätigkeit neigenden Männern unterscheidet? Ich bin für mich zu dem Schluss gekommen, dass es der Grad der Bewusstheit ist, der den Unterscheid macht. Bewusstheit über sich selbst und die eigene Rolle, Bewusstheit über die Zusammenhänge des Lebens und die natürlichen Grundlagen dieses Lebens. Es sind eben nicht der animalische Überlebenskampf und das Recht des Stärkeren gefragt, wenn es um die spezielle Aufgabe des Menschen auf diesem Planeten geht. Der Wille und die Fähigkeit zur Liebe und damit zum friedvollen Zusammenleben unterscheiden meines Erachtens den Menschen vom Tierreich. Zu dieser Erkenntnis gelangt man/Mann jedoch wohl nur, wenn man des eigene Bewusstsein in eine Richtung weiterentwickelt, die ich als ‚weibliches Bewusstsein’ bezeichnen würde. Da wo der Mann seinen manchmal einsamen Kampf ‚Jeder gegen Jeden’ auszutragen scheint, erkenne ich selbst bei Frauen, die in hoher politischer und gesellschaftlicher Verantwortung stehen – siehe Jacinda Ardern, selbst bei Angela Merkel (bei Theresa May bin ich mir noch nicht ganz sicher J)-  den Wunsch und die Fähigkeit, Kompromissbereitschaft und das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen. Es liegt wohl in ihrer Natur einer potentiellen Mutter einen eher nährenden und fürsorglichen, statt trennenden und bekämpfenden Einfluss nehmen zu wollen. Da sind Frauen wohl tatsächlich besser in ’Mutter Erde’ verwurzelt und haben ein besseres Gespür und Bewusstheit über die natürlichen Grundlagen des Lebens. Daher ist meine Hoffnung, dass die  Frauen auf dieser Welt immer mehr ihren ihnen angemessenen und ihnen zustehenden Platz nicht erobern müssen, sondern erhalten. Frauen wie Jacinda Ardern und  Greta Thunberg machen mir als Mann Hoffnung. Ohne diese Hoffnung auf die dadurch mögliche Bewusstseinserweiterung und –veränderung habe auch ich als Mann wenig Hoffnung auf eine wirklich bessere Zukunft.

Das heißt nicht, dass ich nicht auch als Mann meinen Beitrag zu einer Bewusstseinsveränderung leisten kann. Gerade Männer haben aufgrund ihres (natürlichen?) Drangs zur Selbstdarstellung eine wichtige Vorbildfunktion und können daher wichtige Impulse liefern, um diese Welt nicht zu ‚verweiblichen’, sondern sie wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Ina Deter hatte es schon vor Jahrzehnten gewusst und in die Welt hinaus gesungen: „Ich sprüh’s an jede Wand – neue Männer braucht das Land!“. Am grundsätzlichen Problem hat sich scheinbar seitdem nicht wirklich etwas verändert. Die Anzeichen für einen Bewusstseinwandel sind meines Erachtens jedoch heute auf breiterer Ebene als noch zu Ina Deters Zeiten vorhanden. Vor allem durch die Jugend scheint derzeit eine Art ‚Ruck’ zu gehen, indem sie sich nicht widerspruchslos mit der bevorstehenden Apokalypse abzufinden scheint.

Also, es gibt bei aller Grausamkeit der real existierenden Zustände immer noch Zeichen der Hoffnung – ich persönlich würde mir lieber früher als später mehr weiblichen Einfluss auf dieser Welt wünschen. Gleichzeitig wünsche ich mir aus tiefstem Herzen, dass die männlich geprägte Gewalt auf der Stelle zum Stoppen gebracht wird.