Angst - die neue (Volks)Droge?
Die aktuelle Lage
Wenn ich mir die aktuelle politische Lage so anschaue, dann reibe ich mir verwundert die Augen. Ich fühle mich zurückversetzt in eine Zeit vor mehr als 40 Jahren, als der so genannte ‘Kalte Krieg’ wieder einmal kurz davor stand, sich in einen ‘Heißen Krieg’ zu verwandeln. Die USA wollten neue Mittelstreckenraketen in Europa - vorzugsweise in Deutschland - stationieren, um der damaligen Sowjetunion im Falle eines Angriffs mit nuklearer Vergeltung drohen zu können. Sicherheit durch Abschreckung war damals schon das Credo. Ich selbst habe an Demonstrationen teilgenommen, die unter dem Motto standen ‘Petting statt Pershing’ und ‘Lieber Rastafeten als Atomraketen’. Ich war damals wie heute davon überzeugt, dass Frieden am besten ohne Waffen zu schaffen ist. Immerhin: Die nächsten Jahre entwickelten sich die Dinge ja dann auch ganz positiv, Gorbatschow und der Fall der Mauer schienen zumindest die Gefahr eines Krieges in Mitteleuropa erst einmal gebannt zu haben. Nach Jahrzehnten der Konfrontation verbreitete sich allmählich die Idee, dass Kooperation und friedliche Zusammenarbeit für alle Beteiligten wesentlich sicherer und kostengünstiger ist, als das gegenseitige Abschrecken und Wettrüsten.
Und jetzt das! Wieder wird auf Aufrüstung und Abschreckung gesetzt, die alten Feindbilder aus der Mottenkiste ausgegraben und Angst vor einer kriegerischen Eskalation geschürt. Und das sowohl politisch, wie medial.
Die Medien
Bei genauerer Betrachtung der Medienlandschaft drängt sich mir ein Verdacht auf: Angst spielt heutzutage nicht nur im Zusammenhang mit Krieg eine große Rolle, sondern in vielerlei Hinsicht: Angst vor Überfremdung, Angst vor gewalttätigen Übergriffen (Messerattacken!), Angst vor der Klimakatastrophe. Bei allem Verständnis dafür, dass einem aufgrund der Unwägbarkeiten und Unsicherheiten der heutigen Zeit berechtigterweise angst und bange werden kann, habe ich doch den Eindruck, dass die Art und Weise, wie in der Öffentlichkeit mit den verschiedenen Krisenthemen umgegangen wird, die Situation zusätzlich noch verschärft. Politiker üben sich mehr und mehr in aufheizender denn beschwichtigender Sprache und Rhetorik (Stichwort ‘kriegstüchtig‘), das mediale Angstfeuerwerk läuft auf Hochtouren. Die ganze Gesellschaft scheint derzeit in eine latente Angststimmung versetzt zu werden. Wieder einmal. Kaum sind die Coronajahre mit ihren Angst machenden Auswirkungen und Stimmungen halbwegs abgeklungen, wird ein Kriegsausbruch auf europäischem Territorium zum Anlass für eine weitere, jahrelang anhaltende tiefgreifende Verunsicherung genommen. Tägliche Kriegsbilder mit grausamen Einzelheiten, die Rückkehr alter, als überholt angesehener Feindbilder und der neuerliche Ruf nach Aufrüstung und militärischer Stärke. Man hat tatsächlich den Eindruck, die Geschichte wiederholt sich immer wieder und das direkt vor unser aller Augen.
Als wäre es damit nicht genug, wird im alltäglichen TV-Programm und Stream der Nervenkitzel weiter befeuert: Die Flut von Krimis und True-Crime-Serien, Mord und Totschlag gepaart mit unappetitlichen Szenen aus der Pathologie, hat in den letzten Jahren ein Ausmaß angenommen, dass ich mir schon lange die Frage stell: Wen interessiert das eigentlich und warum?
Scheinbar genügt die Menge an Angst machenden Informationen über die Realität noch immer nicht - der Pegel der Nervenanspannung muss auch zu Unterhaltungszwecken hoch gehalten werden.
Diese beiden Aspekte zusammengenommen erwecken in mir den Eindruck, dass der Mensch mittlerweile an einem Punkt in seiner Entwicklung angelangt zu sein scheint, an dem er - wie ein Süchtiger - ohne einen gewissen ‘Kick’ und Nervenkitzel nicht mehr auskommt. Als Adrenalin-Junkie sucht er förmlich nach Situationen und Stimmungen, die ein Mindestmaß an nervlicher Anspannung versprechen. Und wie bei einem Drogensüchtigen steigt bei kontinuierlichem Konsum die Toleranzschwelle für die Droge, das heißt, die Dosis muss ebenso kontinuierlich erhöht werden.
Die Hirnforschung weiß es, die Werbestrategen wissen es: Je schockierender und außergewöhnlicher ein Ereignis wahrgenommen wird, desto mehr Aufmerksamkeit erzielt es. ‘Only bad news are good news’ ist ein schon lange bekannter Leitspruch in den Nachrichtenmedien, die - wie im übrigen sämtliche Algorithmen in der Werbung - genau auf diesem Mechanismus aufbauen: Je reißerischer ein Ereignis dargestellt wird, desto mehr Auflagen und Klicks können erzielt werden.
Das war wohl schon immer so, seit es Nachrichten und Werbung gibt. In der heutigen Zeit wirkt es jedoch auf mich so, als wenn die ständige Dosiserhöhung der Droge ‘Angst und Nervenkitzel’ dazu geführt hat, dass viele Menschen sich ein Leben ohne ein gewisses Maß an Anspannung schon gar nicht mehr vorstellen können. Die ständige mediale Bombardierung mit ‘Bad news’ und ‘True Crime’ kann daher einerseits zu einer gewissen Abstumpfung führen, die entspannende und friedliche Stimmungen entweder gar nicht oder nur vorübergehend zulassen. Andererseits braucht es eben eine ständige Steigerung der Dosis, um durch dieses dicker werdende Fell noch durchdringen zu können.
Angst- und Stressmechanismen
Nun ist ja Angst an sich grundsätzlich nichts schlechtes. In bestimmten Lebenssituationen bewahrt sie uns davor, unvorsichtig und unbedacht zu handeln. In der Psychologie gilt sie neben Trauer, Wut, Schmerz und Freude als eine der grundlegenden menschlichen Emotionen. Aus der Stressforschung weiß man, dass uns Angst dazu befähigt, im Falle eines Angriffs auf der persönlichen Ebene ungeahnte Energien freizusetzen, um uns vor Schaden zu bewahren. Die so genannte ‘Fight-or-Flight’-Reaktion scheint uns wie im Tierreich in die Wiege gelegt worden zu sein. So weit, so gut. Aus der Stressforschung ist jedoch auch bekannt, dass ein zu viel an Angst auslösenden Reaktionen den menschlichen Organismus auf Dauer nachhaltig schädigen kann. Der Weg geht dabei über die so genannte ‘Stresskaskade’ einmal durch den ganzen Körper: Ausgelöst vom Gehirn, das ein Ereignis als Bedrohung wahrnimmt - als einen ‘Stressor’ - werden nervliche Botenstoffe - ‘Neurotransmitter’ - freigesetzt. Diese stürzen sich wie bei einem Wasserfall kaskadenartig von oben - im Normalfall befindet sich das Gehirn ja am oberen Ende des Körpers - herunter in hormonproduzierende Drüsen wie die Nebenniere und Nebennierenrinde. Dort wiederum werden die bekannten Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol ausgeschüttet. Diese Hormone sind es dann, die uns die nötige Energie zur Verfügung stellen, um in bestimmten bedrohlichen Situationen angemessen zu reagieren - eben Angriff oder Verteidigung.
Dies alles geschieht so schnell, dass wir in diesen, von uns als bedrohlich wahrgenommenen Situationen, gar nicht über unsere Reaktionsweise nachdenken müssen, sondern unbewusst und nahezu automatisch reagieren. Jeder kennt wohl solche Notsituationen im Leben, in denen er bzw. sie sich erst im Nachhinein über das eigene Handeln bewusst wurde. Meist ist man sogar positiv überrascht, wie angemessen man in der jeweiligen Situation reagierte. Das hat die Natur also wunderbar eingerichtet.
Das Problem entsteht dann, wenn diese Reaktionen gar nicht mehr aufgrund realer Bedrohungen erfolgen, sondern durch mehr oder weniger ‘eingebildete’ Gefahren ausgelöst werden.
Grundsätzlich ist es zwar immer so: Der eigentliche Stress entsteht im Kopf des Einzelnen und ist damit erst einmal individuell. Der Ablauf der ‘Stresskaskade’, einmal in Gang gebracht, ist zwar bei allen Lebewesen - Mensch oder Tier - der gleiche. Was jedoch den Stein jeweils ins Rollen bringt ist in erster Linie subjektiv und abhängig von individuellen Prägungen, Erfahrungen, Stimmungen und Empfindsamkeiten. Wenn sich nun aber diese ‘eingebildeten’ Bedrohungsgefühle beim Einzelnen häufen, immer wiederkehren und nicht mehr abstellen lassen, kann dies im Einzelfall zu einer massiven Angststörung führen. Das Leben wird mehr und mehr reduziert auf Angst auslösende Situationen und Reize. Daher wohl auch der Ursprung des Angstbegriffs, der sich im Deutschen von ’Enge’ ableitet.
Neben der individuellen Anfälligkeit des Einzelnen gibt allerdings auch noch die Möglichkeit, dass die ‘eingebildeten’ Bedrohungsszenarien von anderen Menschen geteilt werden und man sich gemeinsam mit anderen immer mehr gegenseitig hochschaukelt und in Angstgefühle hineinsteigert. Panikreaktionen können also sowohl beim Einzelnen wie auch in Gruppen durch ‘eingebildete’ Gefahren und Bedrohungsszenarien hervorgerufen werden. Die mitunter in bestimmten Krisensituationen wie Pandemien, Wirtschaftskrisen und Kriegsszenarien zu verzeichnenden panikartigen Reaktionen (Stichwort Klopapier!) werden dadurch erklärbar.
Reale Bedrohung oder bewusste Panikmache?
Und damit wären wir beim eigentlichen Punkt angelangt: Was ich derzeit beobachten kann, ist eine Situation, in der die realen Bedrohungen als Anlass genommen werden, Ängste eher zu befeuern, denn sie zu relativieren. Auf scheinbar systematische Art und Weise werden Bedrohungsszenarien entworfen und in den düstersten Farben an die Wand gemalt, reale Gräuel werden wieder und wieder in Bild und Ton dargestellt und geradezu genüsslich ausgeschlachtet. Das Ergebnis: Der moderne Mensch steht unter Daueranspannung, sozusagen ständig ‘unter Strom’ und scheint sich geradezu danach zu sehnen, Anspannung und Nervenkitzel in immer höheren Dosen zu sich zu nehmen. Er scheint süchtig danach zu sein, eine latente Bedrohung und Anspannung - real oder vorgestellt - zu spüren. In Zeiten, in denen diese Anspannung vorübergehend wegfällt, macht sich dann oft eine starke Erschöpfung bemerkbar. Und wie bei einem Drogensüchtigen gibt es in diesen Erschöpfungsphasen keine wirkliche Erholung und Regeneration mehr, sondern das Auftreten von Entzugssymptomen führt dazu, dass ein Leben ohne Nachrichten, Krimi und Thriller zwar als möglich, aber als völlig sinnlos wahrgenommen wird.
Aber ist es tatsächlich nur die persönliche Suchtstruktur des Einzelnen, die den Nährboden für derartige Symptome bildet? Oder wird man gar gezielt in diesen Zustand der dauerhaften und latenten Anspannung versetzt? Ist es am Ende eine gezielte Angstkampagne, die bewusst mit den Instinkten der Menschen spielt und durch Angst einflössende Feindbilder und Sündenböcke einen bestimmten Zweck verfolgt?
An dieser Stelle bleibt die offene Frage: Wem nützt es? Wenn es sich beim Thema ‘Angst’ und Nervenkitzel’ tatsächlich um eine Art Droge handelt - wer ist dann der Dealer? Wer hat möglicherweise sogar ein Interesse daran, Menschen dauerhaft unter die Droge ’Angst und Nervenkitzel’ zu setzen?
Es wäre schließlich nicht das erste Mal im Laufe der Geschichte, dass Ängste und Befürchtungen von Menschen zuerst geweckt und dann instrumentalisiert werden.
Konsequenzen
Für den Einzelnen kann es jedenfalls nur einen Weg aus der Angstspirale geben: Vermeidung von Angst auslösende Situationen, so weit möglich.
Speziell im Umgang mit Medien bedeutet dies: Verzicht auf die tägliche Dauerberieselung durch Nachrichten- und Informationssendungen, die die Ausschlachtung der ‘Bad news’ in den Vordergrund stellen. Es gibt Studien, die nachweisen, dass der tägliche Konsum von Nachrichtensendungen auf Dauer zu Gesundheitsstörungen führen kann.
Dabei geht es nicht darum, einfach ’abzuschalten’ und uninformiert zu bleiben. Es geht vielmehr um eine Veränderung der Informationsaufnahme. Ich selbst verzichte schon seit geraumer Zeit auf die früher durchaus zum Tagesprogramm gehörige Nachrichtensendung am Abend, da ich die Flut von beängstigenden Bilder einfach nicht mehr ertrage bzw. ertragen will. Schließlich heißt es nicht umsonst: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Auch die tägliche Zeitungslektüre inklusive entsprechender Nachrichtenmagazine kann zu einer ständigen Beschäftigung mit dem katastrophalen Zustand der Welt führen und einem das eigene Leben so richtig madig machen und mit Angst erfüllen.
Wohin die pausenlose Konsum digitaler Medien mit ihren systematischen Verschlimmerungs-Algorithmen führt (Stichwort ‘Digitale Demenz’), möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst näher beleuchten.
Ich selbst ziehe mittlerweile die meisten tagesaktuellen Informationen aus den Radionachrichten, die mir in knappen 2-3 Minuten das Wesentliche vermitteln können, ohne mich dabei mit Bildern oder Kommentaren jeglicher Art zu belästigen. Für die Hintergründe bin ich auf meine eigenen Recherchen und vor allen Dingen Erfahrungen angewiesen.
Was den persönlichen Bedarf an Nervenkitzel betrifft, habe ich auch da von früher lieb gewonnenen Gewohnheiten wie dem Sonntags-Tatort und anderem kriminellen Thrill verabschiedet und ziehe es mittlerweile vor, mich in meiner Freizeit sowohl medial wie real mit positiv stimmenden Dingen zu beschäftigen. Das hat nichts mit Realitätsverdrängung zu tun, sondern einzig und allein mit dem Wunsch, mein Leben, so weit es geht, angstfrei und ohne allzu viel negative Anspannung zu leben.
Diese persönlichen Konsequenzen scheinen mir derzeit auch innerhalb der aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung als ein wesentlicher Schritt: Um nicht von einen Sog der realen und medial aufbereiteten Katastrophenszenarien mitgerissen zu werden, erscheint es mir wichtiger denn je, auf die innere Zentrierung und Fokussierung zu achten. Kann ich dem Zustand der Welt noch Positives abgewinnen und kann ich mich auf meine eigene Einschätzung verlassen, um eine reale von einer scheinbaren Bedrohung zu unterscheiden? Neben den tief im Gehirn verankerten Selbstschutz- und Überlebensmechanismen ist der Mensch nämlich zusätzlich mit einem Großhirn ausgestattet, das ihn dazu befähigt, über eine instinktive Reaktion hinaus abzuwägen, ob die Situation, in der er sich gerade befindet, tatsächlich als bedrohlich einzuschätzen ist. Diese Fähigkeit, sich bewusst mit den Einflüssen um uns herum zu beschäftigen und zu entscheiden, was davon wir an uns heran und in uns hinein lassen, ist dem Menschen von Natur aus mitgegeben. Sie gerade in diesen bedrängenden Zeiten zu nutzen, ist das Gebot der Stunde. Die Macht der Medien baut letzten Endes vor allen Dingen darauf auf, wer diese Medien wie konsumiert.
Wenn ich auch als Einzelner am großen Bild nicht gleich Großes verändern kann, so kann ich doch für mich selbst entscheiden, welche Einflüsse ich in meinem eigenen Leben haben will: Welcher Art von Bildern, Eindrücken und Gedanken will ich mich aussetzen, was will ich mir zumuten? Was tut mir gut, womit fühle ich mich wohl?
Dem Einzelnen bleibt also die Aufgabe, sich selbst ’einen Kopf zu machen’, sich nicht von der Angst- und Panikmache vereinnahmen und infizieren zu lassen. Es braucht - wie in Coronazeiten - ein stabiles Immunsystem, das mögliche Angriffe auf die geistig-seelische Unversehrtheit durch Angstbakterien und Panikviren abwehren kann. Dazu hilft vielleicht die Einsicht und die Haltung, dass man kann sein Leben zwar nicht einfach so positiv denken kann, aber man kann verhindern, dass man es in Grund und Boden denkt.
Wenn genügend Menschen diesen Schritt tun - weg von Angst und Panik hin zu Entspannung und Friedfertigkeit - dann kann es möglicherweise zu einer Bewegung innerhalb dieser aufgeheizten gesellschaftlichen Situation kommen, die über den Einzelnen hinauswächst und das größere Ganze in eine friedlichere Richtung bewegt.